Freudensprünge

von Gerd Peter

Meine Eltern waren Landwirte im Nebenerwerb. Drei Kühe, zwei Rinder, zwei Schweine und eine Menge Arbeit für alle im Haus …
Es war immer ein besonderes Erlebnis, wenn im Frühjahr die Rinder und Kühe zum ersten Mal wieder auf die Weide geführt wurden. Monatelang hatten sie auf Stroh im Stall gestanden. Runkeln, Heu und Schrot waren ihre tägliche Nahrung. Wenn dann im April oder Mai die Wachstumsphase eingesetzt hatte und ausreichend Gras auf der Wiese stand, wurden die Tiere  einzeln an der Leine aus dem Stall über ein Stück Straße auf die Weide geführt. Für die Jungtiere war es das erste Mal, dass sie den blauen Himmel zu sehen bekamen.
Bei dieser Aktion tat man gut daran, die Leine kurz und fest in der Hand zu halten. Denn nach anfänglichem, störrischen Bocken preschten die Kühe gern mal unversehens los und gaben dabei auch gern selbst die Richtung vor. Auf der Weide, wenn die Leine gelöst wurde, gab es dann kein Halten mehr. Im Trab oder im Galopp fegten die großen Tiere durch das saftige Gras. Und nicht nur die Kälber sprangen übermütig mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft. Wahre Freudensprünge!
Auf, auf, mein Herz, mit Freuden  nimm wahr, was heut geschicht; / wie kommt nach großem Leiden nun ein so großes Licht! / Mein Heiland war gelegt da, wo man uns hinträgt, / wenn von uns unser Geist gen Himmel ist gereist.
Er war in Grab gesenket, der Feind trieb groß Geschrei; / eh er´s vermeint und denket, ist Christus wieder frei / und ruft „Viktoria!“ (= Sieg), schwingt fröhlich hier und da / sein Fähnlein als ein Held, der Feld und Mut behält.
Dieses Lied, zu dem noch sechs weitere Strophen gehören, zählt für mich zu den schönsten Osterliedern. Kurz vor Ende des grauenvollen, dreißigjährigen Krieges schrieb Paul Gerhardt diese Verse, die vor Freude nur so überquellen. Die beschwingte, tänzerische Melodie von Johann Crüger bringt diese Osterfreude musikalisch wunderbar zum Ausdruck. Freudensprünge des Herzens – Tod, Gewalt und Krieg zum Trotz. Der Glaube macht´s möglich!!!
Wir stehen im Morgen. Aus Gott ein Schein / durchbricht alle Gräber. Es bricht ein Stein. / Erstanden ist Christus. Ein Tanz setzt ein.
Ein Tanz, der um Erde und Sonne kreist: / Der Reigen des Christus, voll Kraft und Geist. / Ein Tanz, der uns alle dem Tod entreißt.
An Ostern, o Tod, war das Weltgericht. / Wir lachen dir frei in dein Angstgesicht. / Wir lachen dich an – du bedrohst uns nicht.
In diesem zeitgenössischen Ostertanzlied von Jörg Zink (Melodie: Hans-Jürgen Hufeisen; es gibt drei weitere Strophen) gehen die Freudensprünge des Herzens auf im kosmischen Tanz voll Kraft und Geist. Gottes Licht des Lebens durchbricht die Gräber des Todes. Der Tod mit seinen Drohgebärden macht sich lächerlich.
Auferstehung im Jahr 2022 – der dunklen Grabhöhle, Sinnbild der Ohnmacht  angesichts von Gewalt, Leid und Tod, entsteigen, weil Gott selbst sie aufbricht. Osterglaube im Jahr 2022 – der pandemischen Depression, der schleichenden Zukunftsangst und dem kriegerischen Festival des Todes mit dem Tanz des Lebens trotzen.  Freudensprünge des Herzens und der Seele. Wie ausgelassene Rindviecher im Frühjahr auf der saftigen Weide...